Wo nicht für die Tribüne geredet wird

Liebe Leserin, lieber Leser, gerne möchte ich Ihnen von den geheimen Sitzungen des Kantonsrates berichten.

Im öffentlich zugänglichen Kantonsratssaal wird ja viel geredet – vor allem für das Protokoll und die Tribüne. Das Protokoll ist später für die Gerichte interessant, wenn sie sich Gedanken „zum Willen des Gesetzgebers“ machen. Auf der Tribüne sind die Medienschaffenden präsent und diese werden teilweise bewusst durch den Rat „gefüttert“, sodass das Ganze bisweilen zu einem kleinen Zirkus wird. Politzirkus eben.

Geheime Sitzungen
Geredet wird aber nicht nur im öffentlich zugänglichen Parlament (aus dem französischen: „parler“, also reden) sondern eben auch systematisch im Rahmen von geheimen Sitzungen. Bevor Sie jetzt aufschrecken und irgendwelche Verschwörungstheorien vermuten, kann ich Sie beruhigen. Die geheimen Sitzungen, das sind die vorberatenden Kommissionssitzungen. Bevor eine Vorlage im Kantonsratssaal behandelt wird, wird sie mindestens zweimal in einer kantonsrätlichen Kommission beraten. Diese Sitzungen werden zwar protokolliert, sind aber nicht öffentlich. Zu den Kommissionssitzungen hätte ich ein paar interessante Münsterchen zu erzählen, aber das Amtsgeheimnis verbietet mir dies. Geheim bleibt eben geheim. Unter Wahrung der Geheimhaltungspflicht, möchte ich Ihnen hier einen Einblick in die allgemein weniger bekannten Kommissionen geben.

Kommissionen

Der Kantonsrat verfügt über zehn ständige Kommissionen. Gemäss ihrem Stimmenanteil werden den Parteien die Sitze zugeteilt. Je stärker eine Partei ist, desto mehr Kommissionssitzungen kommen ihr zu. Wer in welcher Kommission effektiv Einsitz nimmt, führt innerhalb der Parteien in der Regel zu Diskussionen. Es gibt Kommissionen, welche äusserst beliebt sind, zum Beispiel die Planungs- und Finanzkommission, da diese einflussreich ist. Und dann gibt es Kommissionen wie die Redaktionskommission (redaktionelles Korrekturlesen der Gesetzestexte), welche nicht zuoberst auf der Wunschliste der Kantonsrätinnen und Kantonsräte stehen. Ob beliebt oder nicht, am Ende des Tages muss jede Kommission besetzt werden.

Praxisbesuche bei fehlendem KnowHow lohnen sich

Nicht alle Kantonsrätinnen und Kantonsräte verfügen über ein spezifisches KnowHow, wenn sie in eine Kommission gewählt werden, das ist Teil der Politik. In der letzten Legislatur kam ich in die Justiz- und Sicherheitskommission, diese kümmert sich insbesondere um die Themen der Gerichte, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei.

Um wirklich zu erfahren, was an der Front passiert, habe ich zu Beginn der Legislatur den Polizeikommandanten darum gebeten, bei einem normalen Arbeitstag der Kripo teilnehmen zu dürfen. Damit erhielt ich einen Einblick in eine mir unbekannte Welt. Eine Erfahrung, welche meinen Horizont erweitert hat und mir auf Einiges einen anderen Blickwinkel gab. Während meines Besuches habe ich unteranderem erfahren, dass die Polizei nur einen Teil der DNA auswerten kann. Bei der Polizei spürte ich grosses Unverständnis, warum man den Täter (es handelte sich um einen Fall einer schweren Vergewaltigung) schützte. Ich konnte das ebenso wenig nachvollziehen, aber da dies im Bundesgesetz geregelt ist, konnte ich direkt nichts tun. Wegschauen, auch wenn man nicht zuständig ist, ist keine Option. Darum habe ich die Grundlagen für einen Vorstoss erarbeitet und Nationalrat Albert Vitali gebeten sich der Sache anzunehmen. Dieser Praxisinput kam in Bern gut an. Es lohnt sich neugierig zu sein, den Kontakt zur Praxis zu suchen und deren Anliegen ernst zu nehmen. Politik ohne Praxisbezug ist eine leere Politik.

Diskussionen bringen uns weiter

In der nächsten Legislatur wechsle ich in die Kommission Gesundheit, Soziales und Arbeit. Als Präsident dieser Kommission werde ich mich natürlich für faire und produktive Sitzungen einsetzen. Wichtig ist mir auch, dass sich die Kommissionsmitglieder vertieft mit den teilweise sehr komplexen Botschaften auseinandersetzen und bei ihren Entscheiden die relevanten Fakten berücksichtigen können. Auch hier soll die Praxis berücksichtigt werden. Und, was alles andere als selbstverständlich ist, es sollen auch echte Diskussion möglich sein. Mit dem Diskutieren und den Politikerinnen und Politikern ist es so eine Sache. Man könnte eigentlich meinen, dass Politikerinnen und Politiker nichts lieber tun – aber oft ist dies lediglich eine Darlegung seiner eigenen Standpunkte und Meinung. Echte Diskussionen, bei denen man sich mit anderen Argumenten auseinandersetzt, sind eher selten. Ich bin aber überzeugt davon, dass genau dies wichtig ist und uns weiterbringt. Um den ungezwungenen Dialog über die Parteigrenzen zu fördern, habe ich mich für ein etwas ungewöhnliches Mittel entschieden: Pro Sitzungshalbtag soll eine 20-minütige Pause stattfinden. Eine kleine Massnahme, die hoffentlich den Dialog fördert.

Der gut schweizerische Kompromiss

Da die Kommissionssitzungen ohne Medienvertretungen im Nacken stattfinden, kann man auch mal das Parteibüchlein links oder rechts liegen lassen und vielleicht dann und wann sogar einen Kompromiss eingehen. Der gut schweizerische Kompromiss hat in der letzten Zeit einen schweren Stand. Wie hört sich dies an: „Trotz grossem Einsatz mussten wir von einigen Forderungen abweichen, zudem hatten Andere zu einigen Punkten noch bessere Ansätze. Neuste Erkenntnisse haben wir berücksichtigt und die führten zu leichten Anpassungen unserer Haltung. Gemeinsam konnte ein mehrheitsfähiger Kompromiss gefunden werden. Dies ist nicht unsere Traumlösung, aber immer noch eine sehr gute Lösung“? Solche Sätze kommen nicht überall gut an. „Wir hätten schon gewollt, aber die Anderen nicht“ ist viel populärer und lässt sich besser verkaufen. Manchmal braucht es aber einen Kompromiss, auch wenn sich dieser nicht so plakativ vermarkten lässt. Und solche Kompromisse lassen sich kaum mit einer 3-minütigen Redezeitbeschränkung, mit 120 Mitgliedern und den Medien im Hintergrund finden. Dazu braucht es die Kommissionen (und vielleicht künftig sogar deren Pausengespräche ;-)).

Jim Wolanin, Kantonsrat, Neuenkirch